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Ein zarter Beat, eine psychedelisch lodernde Orgel, gedämpfte Gitarren-Arpeggien, dazu flüstert eine verhallte Frauenstimme. Bei den ersten Klängen von „Beach Baby, Baby“, der neuen EP von Nick & June, flackern gleich mehrere Assoziationslämpchen auf: Dream Pop! LoFi! Sechzigerjahre! Und wer das Duo aus Nürnberg schon länger kennt, stutzt vielleicht kurz: Wo ist der Indiefolk? Nun, nach kreativer Pause (und über zwei Jahren Pandemie) darf man ruhig ein neues Kapitel aufschlagen, oder?

Nick & June schweben in einem Glitzernebel aus trilierenden Synthesizern, sanften Beat- und Drum-Pulsen und vibrierenden Orgelsounds. Eingebettet in dunkle Hall-Gitarren führen die bitter-süß gepaarten Stimmen von Suzie-Lou Kraft und Nick Wolf durch euphorisch inszenierte Zurückhaltung und versponnene Gedankenverästelung. Wo früher Parallelen zu Künstlern wie Bon Iver, Damien Rice oder Angus & Julia Stone gezogen wurden, winken heute auch Beach House, Mazzy Star und Lana Del Rey durch den Reverb-Schleier.

Tatsächlich ist Wandel eine Konstante im Werdegang von Nick & June. Was im Jahr 2011 als Soloprojekt von Nick Wolf begann, entwickelte sich in den letzten Jahren zu einem variablen Gesamtkunstwerk und Indie-Projekt. Waren die erste EP und das Langspieldebüt „Flavor & Sin“ (2013) noch tief im akustischen Singer-Songwritertum verwurzelt, stießen Nick & June mit dem Konzeptalbum „My November My“ (2017) die Türen weit auf: Das war immer noch Folk(-Pop), aber cinematischer und vielschichtiger, mit Chören, Bläsern und keiner Scheu davor, auch mal freizudrehen – und mit Singles wie „Home Is Where the Heart Hurts, Pt. 1“ und „London City, Boy, It’s Killing Me“, die sich zu kleinen Indie-Hits mauserten: über 10 Millionen Streams, Einsätze im Radio, im TV-Abendprogramm und sogar auf der großen Leinwand, im vielgelobten Coming-of-Age-Film „About a Girl“.

Cineastisch wird es auch auf „Beach Baby, Baby“ – und das nicht nur wegen ersichtlicher Querverweise, siehe „Manic Pixie Dream Girl“ und „Hugh Grant & His Consequences“. Die Songs sind atmosphärisch, dabei warm und grobkörnig produziert. Weitläufig, mit viel Raum für berückende Melodien und die harmonisch verschmelzenden Stimmen von Wolf und Kraft. Mit bildhaften Textzeilen, die das Kopfkino in Gang setzen. Wäre diese EP ein Film, dann vermutlich ein verwaschener Analogstreifen aus dem Frühwerk von Sofia Coppola. Stichwort: „Lost in Translation“. Dabei machen es sich Nick & June nie zu lange in der wohligen Melancholie bequem: Während sich das anfänglich erwähnte „Anything But Time“ nonchalant zur kleinen Hymne entwickelt, brennt sich der Refrain von „Hugh Grant & His Consequences“ umgehend ins Gedächtnis ein. „Lip Sync To Love Songs“ trudelt und rauscht mit seinem Wall-of-Sound-Beat und dem sehnsüchtig durchs Geschehen irrlichternden Keyboard. Mit der gleichen dumpf-hallenden E-Gitarre bewahrt sich „Manic Pixie Dream Girl“ etwas Unnahbares – traumverloren, verklebt, aber auch mit Popappeal.

Dass Nick Wolf und Suzie-Lou Kraft ihre EP nicht in einem klassischen Studio eingespielt haben, passt zum Vibe von „Beach Baby, Baby“. Das „In Our House“-Studio in München, in dem das Duo zusammen mit Nicolas Sierig an den Tracks feilte, ist eher eine Altbauwohnung mit ein paar Vintage-Synthesizern. Fun Fact am Rande: Auch das letzte The-Notwist-Album entstand hier. Für die Aufnahmen haben die zwei Multiinstrumentalisten Wolf und Kraft neue Schwerpunkte gesetzt: E-Gitarren, alte Casio-Keyboards und Drum-Machines rücken ins Zentrum und verbinden sich mit weiten Bläsern, verfremdeten Glockenspielklängen und flirrenden Mandolinen. Live sind Nick & June dagegen bevorzugt mit Band unterwegs. Weit über 500 Konzerte europaweit haben sie im Laufe der Jahre bereits absolviert. 2023 werden es nochmal deutlich mehr. Auch ein drittes Album ist geplant – fürs kommende Jahr. Wohin die Reise geht? Bestimmt weiter auf neuen Pfaden.